Wortgast Beitrag: Markthalle für alle
Programm Zeitung (Nr. 166, September 2002)
Wort-Gast zu sein, ist schön — anstrengend. Jedenfalls für mich, denn das geschriebene Wort ist nicht unbedingt meine Sache. Und trotzdem freue ich mich, denn als Gast bin ich eingeladen und weiss, dass ich willkommen bin. Das ist doch eine gute Voraussetzung.
Als ich die erste Programmzeitung 1987 in die Hand bekam und den Leitartikel von Stefan Studer mit dem Titel "Stadtkultur statt Kulturstadt" las, freute ich mich, dass ein Forum für Kulturfragen entstand. Heute ist die Programmzeitung eher eine Informationszeitschrift über Veranstaltungsorte. Ich denke, das ist bezeichnend für unsere Zeit. Jeder Sparte ihren Ort mit seinen Mitteln und einem grossen Lob. Erfolg ist wichtig, überlebenswichtig, ja, ohne Erfolg — erfolgt nichts mehr. Darum müssen wir gut sein!
Lassen wir es gut sein, und wenden wir uns dem blauen Himmel zu. Visionen sind gefragt: Stellt dir vor, es gäbe keine Veranstaltungsräume mehr und die Kultur fände im Alltag statt. Wie wäre das?
Zum Beispiel die Markthalle in Basel, mit einer der grössten Kuppel Europas, sie könnte ein solcher Ort sein. Nein, nein, nicht wieder ein Ort, der mit Veranstaltungen ausgemalt werden müsste, denn ein Markt wäre Veranstaltung genug. Ich denke konkret an einen lebendigen Markt, auf dem die verschiedensten Kulturen unserer Stadt ihre spezifischen Lebensmittel und weitere Waren anbieten. Ein bazarartiges Treiben würde in den Hallen stattfinden. Nicht nur früh am Morgen, den ganzen Tag über würde hier gehandelt, vormittags an den Lastwagen der Grosshändler, gegen Mittag kulinarisch in den integrierten herausgestuhlten Beizen, nachmittags bis abends an bunten Marktständen, und danach entwickelt sich das weitere kulturelle Nachtleben. Mir schwebt ein Ort vor, an dem weit mehr als nur feilgeboten wird, an dem täglich ein Feuerwerk von sinnlichen Eindrücken erlebbar wird. Die Markthalle würde zur Markthalle im besten Sinne. Das Potenzial des Begriffes "Markt", in einem erweiterten Sinn verstanden, regt an und könnte dem Gebäude und der Region interessante Möglichkeiten öffnen. Die Stadtbehörde ist daran nicht interessiert, bereits sind Architekten leise daran, Rentables zu planen.
Statt über Stadtentwicklung müssten wir über Alltagsentwicklung nachdenken. Wir wären gezwungen, statt auf Rendite auf Menschen zu setzen, und davon gibt es viele und besondere, alle mit ihren Fähigkeiten. Und wie finden sie sich? Wo? Vielleicht steckt hier die primäre Frage der Kultur.
Wie erwähnt, es ist ein gutes Gefühl Gast zu sein. Wir sollten uns vermehrt einladen und uns gemeinsam über unsere Zukunft Gedanken machen.
Michele Cordasco
freischaffender Bildhauer und Sozialplastiker